Im Herzen der Stadt by Trojahn Simone

Im Herzen der Stadt by Trojahn Simone

Autor:Trojahn, Simone [Trojahn, Simone]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman-Kurz
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Tausend Feuer erhellten an diesem vierten Juli den kleinen Rathausplatz von Laketown. Tausend Feuer. Es waren die Fackeln, die sie mit sich trugen. Ein Zug des Todes, Zug der Gerechtigkeit. Es waren die gleichen Menschen. Einige wenige Neulinge gab es vielleicht in Laketown, doch die waren nicht hier oder es war ihnen einerlei. Sie wollten sich nicht einmischen. Das hier war eine persönliche Sache. Eine Familienangelegenheit. Die Kinder hatten sie größtenteils Zuhause gelassen, wie damals, vor zehn Jahren. Doch die Kinder von damals waren heute hier. Sie waren keine Kinder mehr. Sie hatten nun auch das Recht, teilzuhaben. Wil versuchte, die Augen zu schließen. Er konnte es nicht. Die roten Punkte, die dann hinter seinen geschlossenen Lidern tanzten, waren unerträglich, schlimmer als alles andere. In seiner Angst, seiner unbeschreiblichen, unendlichen Panik, seinem tiefsten Entsetzen, hatte er den Schmerz in seinem gebrochenen Arm vergessen. Er atmete krampfhaft und hektisch. Das Atmen tat ihm in der Kehle und in den Lungen weh, so wie damals, als sie ihn am Galgen baumeln ließen. Als er schon den Tod vor Augen hatte, in all seiner grausamen Deutlichkeit und dann....dann doch noch einmal davon gekommen war.

Heute würde es anders sein. Heute war er der Verlierer. Endgültig. Ein Mann trat jetzt vor ihn. Ein sehr junger Mann, nicht älter als er selbst. Kenn ich dich? überlegte Wil und musste feststellen, dass es so war. Er kannte ihn! Ernest Sowieso. Sie waren zusammen zur Schule gegangen. In eine Klasse. Sie hatten auch zusammen Baseball gespielt. In einer Mannschaft. Wil konnte sich nicht erinnern, ob Ernest damals hier war, doch er war es jetzt und das war alles, was zählte. Denn der gute Ernest ( dicke Nickelbrille, Pockennarben) hielt einen Kanister in der Hand. Einen Benzinkanister.

„Nein“, flüsterte Wil. Niemand hörte ihn.

„Nein“, wiederholte er, so leise, dass wohl nur Ernest ihn wirklich verstehen konnte, der ihm jetzt so nahe war, dass Wil sein Aftershave riechen konnte.

„Hat sie das auch gesagt, während du sie mit einem Stück Draht erdrosselt hast, du Drecksau?“

„Ich hab`s nicht getan“, sagte Wil zum Weis- Gott- wie - vielten- Male in diesem Leben.

Seine Stimme war nicht mehr als ein kraftloses Krächzen.

„Sag das deinem Gott, wenn du in wenigen Minuten vor ihn trittst. Falls du überhaupt einen Gott hast.“

„Ich hab einen“, sagte Wil.

„Und der wird dafür sorgen, dass ihr alle in der Hölle schmorrt für diese Ungerechtigkeit.“

„Tut mir leid, Mann, aber ich hab zu tun.“

Mit diesen Worten fing Ernest an, ihn mit Benzin zu übergießen. Er hörte erst auf, nachdem Wils Kleider förmlich getränkt waren. Er hatte Benzin in den Haaren. Sein Gesicht war nass. Er schmeckte Benzin, er roch Benzin, das seine Nase verstopfte. Benzin war in seine Ohren gelaufen. Es war überall, füllte ihn, betäubte seine Sinne.

„Du wirst brennen wie eine gottverdammte Fackel“, sagte Ernest.

„Hast du noch was zu sagen? Deine letzten Worte?“ Er kicherte.

„Ja“, sagte Wil.

„Bitte. Aber sie müssen zuhören. Sie alle! Hilf mir, dass sie mir zuhören. Bitte!“

Ernest zuckte die Achseln. Wil sah Benzintropfen auf den schmutzig- verklebten Gläsern seiner Brille.

„Von mir aus, Mann.



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